Aufklärung muss weitergehen

Die Fraktionen von Bündnis 90 / Die Grünen und der SPD im Bayerischen Landtag haben im März 2022 einen interfraktionellen Antrag zur Einsetzung eines zweiten Untersuchungsausschusses zur weiteren Aufklärung der Morde und Sprengstoffanschläge des Nationalsozialistischen Untergrunds in Bayern eingereicht. Ziel des Untersuchungsausschusses ist die Klärung offener Fragen und möglicher Fehler der bayerischen Sicherheits- und Justizbehörden sowie der zuständigen Ministerien und politischen Entscheidungsträger*innen im Umgang mit der Mord- und Anschlagsserie des NSU.

Die Netzwerke, Gruppierungen und Kontaktpersonen aus der rechtsextremen Szene in Bayern, die den NSU bei der Vorbereitung seiner Anschläge und Attentate in Bayern womöglich unterstützt haben, müssen  weiter untersucht werden. Die Rolle und das Wissen von V-Leuten und Informant*innen diverser Sicherheitsbehörden im Umfeld des NSU wird ebenfalls Gegenstand des Ausschusses sein. Ein besonderes Augenmerk wird der Ausschuss ferner auf die Ermittlungen der Sicherheitsbehörden zum ersten bekannt gewordenen Sprengstoffanschlag des NSU im Juni 1999 gegen eine Gaststätte in Nürnberg legen. Auch der Umgang der ermittelnden Behörden mit den Familien und Angehörigen der Mordopfer des NSU wird im Ausschuss beleuchtet werden.

Mit Blick auf aktuelle rechtsextreme Gefährdungspotenziale sollen auch mögliche Kontinuitäten und Verbindungen zwischen dem NSU und aktuellen rechtsterroristischen Bedrohungen untersucht werden. Ziel ist es, aus den Fehlern und Defiziten im Umgang mit den Taten des NSU, die richtigen politischen und organisatorischen Konsequenzen für eine bessere Aufklärung und Strafverfolgung militanter rechtsextremer Bestrebungen zu ziehen. Angesichts der aktuellen Bedrohungen durch rechtsextreme, rassistische und antisemitische Gewalt sowie der anhaltenden Gefährdung durch rechtsterroristische Attentate und Anschläge, halten die Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen und der SPD eine weitere Aufklärung der zahlreichen offenen Fragen zu den Hintergründen und Akteuren des NSU-Komplexes in Bayern für dringend geboten.

10 Jahre nach der Enttarnung des NSU - Aufklärung des NSU-Komplexes bleibt unzureichend

Im November 2021 jährte sich die Aufdeckung des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) zum zehnten Mal. Bis zu seiner Selbstenttarnung im Jahr 2011 konnte der NSU zwölf Jahre lang im Untergrund zehn Menschen ermorden, mindestens drei Bombenanschläge und zahlreiche Banküberfälle begehen, ohne dass die Sicherheitsbehörden und die Justiz auf ihn aufmerksam wurden. Beim NSU handelt es sich um die gefährlichste und am längsten bestehende rechtsextreme Terrorgruppe in der Nachkriegsgeschichte der Bundesrepublik. Die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte den Angehörigen der Opfer des NSU und den überlebenden Opfern einst die vollständige und rückhaltlose Aufklärung der Taten des NSU versprochen. Leider sind wir auch zehn Jahre nach der Enttarnung des NSU und drei Jahre nach dem Ende des NSU-Prozesses vor dem Münchener Oberlandesgericht immer noch weit von der Einlösung dieses Versprechens entfernt.

Der Untersuchungsausschuss soll sich ab Mai 2022 zunächst einen Überblick über alle bei den bayerischen Behörden und den zuständigen Bundesbehörden befindlichen Akten und Unterlagen zum NSU-Komplex in Bayern verschaffen. Dabei soll auch die Frage behandelt werden, ob ein zentrales Archiv zu den Bayern betreffenden Aspekten des NSU-Komplexes und der darüber hinaus gehenden rechtsextremen Netzwerke in Bayern geschaffen werden kann. Außerdem soll die Frage geklärt werden, welche Aktenbestände gegebenenfalls in solch einem Archiv gesammelt werden und in welcher Weise die Schaffung eines geplanten zentralen Archivs zum Rechtsterrorismus auf Bundesebene von bayerischen Archiven und Behörden unterstützt werden kann. Eine zentrale sowie gute Erschließung und Sicherung des Gesamtbestands aller Akten und Unterlagen verschiedenster Behörden ist nicht nur für die politische und juristische Aufarbeitung von Bedeutung, sondern auch für die zukünftige Forschung zum NSU-Komplex wichtig und hilfreich.

Zahlreiche Angehörige von NSU-Opfern, Nebenklageanwält*innen aus dem NSU-Prozess, Fachberatungsstellen gegen rechtsextreme Gewalt sowie engagierte Personen und Initiativen aus der Zivilgesellschaft hatten sich im Jahr 2021 unter dem Motto ‚Kein Schlussstrich!‘ an den Landtag gewandt und in einer Petition die Einsetzung eines zweiten Untersuchungsausschusses zum NSU-Komplex verlangt. Die Stadträte in den NSU-Tatortstädten Nürnberg und München haben sich ebenfalls in interfraktionellen Resolutionen für einen zweiten Untersuchungsausschuss ausgesprochen. Auch diesen Wünschen und Anliegen betroffener Familien sowie aus Politik und Zivilgesellschaft wollen die Fraktionen von Bündnis 90 / Die Grünen und der SPD mit der Initiative für einen zweiten NSU-Untersuchungsausschuss im Bayerischen Landtag gerecht werden.